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Sabine Gross

*1961 in Ulm
Lebt und arbeitet in Berlin

MonuMAX, 2020



Vor dem Museum am Strom steht ein Stapel aus elf Kartons, die von unten nach oben immer kleiner werden. Der Stapel erscheint dem Betrachter wie eine große Lieferung verschiedener Onlinebestellungen, die in Eile von einem Paketdienst abgestellt wurden. Die Mitarbeiter des Museums sollten die Pakete schnell hereintragen, sie könnten etwas Wertvolles beinhalten oder bei Regen nass werden und zerfallen, sodass die Ware wohlmöglich Schaden nimmt. Nur bei detaillierter Betrachtung zeigt sich die Divergenz zwischen der Materialität und dem, was wir auf den ersten Blick sehen: dass es sich bei dem Turm nicht um kurzfristig abgestellte Pappkartons handelt, sondern um ein für den Außenraum konzipiertes Kunstwerk.

Ein zentrales Thema im Werk von Sabine Gross, die an der Akademie der Bildenden Künste München studiert hat und seit 2009 als Professorin für Bildhauerei an der Kunsthochschule Mainz arbeitet, ist die Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen des Kunstbetriebs. Die für die Triennale in Bingen konzipierte Arbeit „MonuMAX“ hinterfragt wie auch andere Skulpturen der Künstlerin den ihr zugrunde liegenden Entstehungs- und Ausstellungskontext und regt dabei Fragen an wie: Wann ist ein Stapel von Versandboxen ein Kunstwerk? Was ist die Ästhetik dieses Kunstwerkes? Warum ist die Skulptur an diesem und nicht an einem anderen Ort aufgestellt? Sabine Gross

In der reduzierten Form der Skulptur bezieht sich Groß auf die Prinzipien des Minimalismus, der sich in den frühen 1960er-Jahren in Amerika entwickelte.

Diesen Künstlern ging es um die Herstellung plastischer Objekte, die von allem ornamentalen und zufälligen Beiwerk befreit sind und allein sich selbst repräsentieren: „You see, what you see“ (Du siehst, was du siehst), so das minimalistische Credo. Durch die Mittel der Wiederholung und der seriellen Reihung sollte die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die spezifische Ausdrucksqualität der verwendeten Materialien, die klare Formensprache und den räumlichen Kontext gelenkt werden. Trotz der formalen Anleihen entfernt sich Groß mit „MonuMAX“ zugleich bewusst von den Vorgaben des Minimalismus. So sind die Boxen gerade nicht präzise im rechten Winkel aufeinandergestapelt, sondern aus einer gestalterischen Geste heraus unregelmäßig in verschiedene Richtungen gedreht, wodurch sie wie spontan abgestellt erscheinen.

Hinzu kommt, dass die Formen eben nicht genau das sind, was sie auf dem ersten Blick zu sein scheinen. So handelt es sich bei den einzelnen Elementen des Werks nicht um echte Pappboxen, sondern um Abformungen in polymerisiertem Gips, die die Künstlerin von den Originalkartons angefertigt hat. Auch der Abdruck von Aufklebern und Paketband geht in die Plastik mit ein. Die Blöcke bemalte Groß schließlich mit Acrylfarbe, wobei diejenigen im unteren Bereich dunklere, braune Töne haben und nach oben hin heller werden.

Durch dieses Spiel mit der Wahrnehmung hinterfragt die Künstlerin die in den 1930er-Jahren aufgekommene Vorgabe der Materialgerechtigkeit, die fordert, ein in der Bildhauerei eingesetztes Material solle seine technischen Eigenschaften und visuellen Erscheinungsweisen nicht verstecken, sondern ästhetisch wirksam werden lassen.

Durch die spezifische Platzierung der Skulptur macht die Künstlerin zugleich darauf aufmerksam, wie der Aufstellungsort die Wahrnehmung eines Kunstwerks beeinflusst. So ist die Skulptur unmittelbar vor dem Eingangstor des Museums präsentiert und wirkt dabei eher so, als würde sie im Weg stehen, anstatt als Kunstwerk „gebührend“ zur Schau gestellt zu werden. Während die Höhe von „MonuMAX“ durchaus monumental ist, so erfüllen doch weder Form und Wirkung noch die Platzierung die klassischen Erwartungen an eine „repräsentative“ Plastik. So fordert uns Groß‘ Beitrag nicht nur dazu heraus, ganz genau hinzusehen. Auch lenkt er unseren Blick auf den Ausstellungskontext und die Konventionen in unserem Kopf, mit denen wir Kunst betrachten.

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