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Moritz Götze

*1964 in Halle (Saale)
Lebt und arbeitet in Halle (Saale)

Auf der Sonnenseite, 2020



Wenn man am Binger Rheinufer spaziert, so bleibt der Blick immer wieder an dem monumentalen Niederwalddenkmal oberhalb von Rüdesheim hängen.

Das Denkmal, dessen Grundsteinlegung 1877 und Einweihung 1883 in Anwesenheit des Kaisers stattfanden, wurde errichtet, um an die Gründung des Deutschen Reiches 1871 ebenso wie an den gewonnenen Krieg von 1870/71 zu erinnern. Die 12,5 Meter große Germania, die das insgesamt 38 Meter hohe Denkmal in Rüdesheim bekrönt, steht aufrecht, die mit Lorbeeren geschmückte Reichskrone hält sie mit dem rechten Arm nach oben, die linke Hand ruht auf einem lorbeerumwundenen Schwert, das Wehrhaftigkeit symbolisiert. Der Lorbeer ist dabei Sinnbild des Sieges und Triumphes sowie der Unsterblichkeit. Bekrönt ist die Germania mit einem Eichenlaubkranz als Zeichen von Treue, Standfestigkeit und nationaler Einheit.

Bereits im frühen 19. Jahrhundert hatten Künstler Personifikationen der Germania dargestellt. Doch zu diesem Zeitpunkt war „Deutschland“ lediglich der geografische Überbegriff einer Kulturregion. Dies änderte sich zur Mitte des 19. Jahrhunderts in der Entstehungszeit des Deutschen Reiches. Beispielsweise kann das Kolossalgemälde der Germania, das der Frankfurter Maler Philipp Veit (1793–1877) im März 1848 für die Frankfurter Paulskirche anfertigte, in seiner Symbolik als ein Vorläufer der Rüdesheimer Germania gelten. Moritz Götze

Auf der Binger Seite nun hat Moritz Götze die Personifikation der Germania buchstäblich vom Sockel geholt, Kleidung und Attribute sind abgelegt.

Die Frauenfigur liegt nackt auf dem Boden, umgeben von dem auf der Wiese liegenden Umhang, von Schuhen, Gürtel und Krone. Der Brustpanzer mit dem aufgeprägten Reichsadler, das lorbeerumwundene Schwert und der Lorbeerkranz bilden eine Gruppe. Die Germania nimmt – ganz in der Tradition der Kunstgeschichte – die Haltung eines liegenden Aktes ein. Dadurch wird sie allem Monumentalen enthoben und vom imposanten Subjekt zum Objekt des Begehrens. Mit den Tätowierungen, die ihren Körper bedecken, versetzt Götze die Aktfigur in unsere heutige Zeit, zugleich bietet sich ihm als Maler aber auch die Möglichkeit, auf dem Körper wie auf einem Papier zu zeichnen. In der farbintensiv und comic-artig gestalteten Silhouetten-Gruppe werden so Symbole von Politik und Macht spielerisch zu neuen ironisch-humorvollen Bildwelten arrangiert.

Götze setzt sich in seinen Kunstwerken seit vielen Jahren mit Geschichte auseinander. Seine Darstellungen von Autoritäten der preußischen und deutschen Geschichte werden meist mit den Mitteln des Pop gebrochen. Er zerlegt in ironischer Adaption die Elemente, die auf „deutsche“ Tugenden, Tapferkeit und Sieg verweisen, und unterzieht sie einer Neubewertung. Dabei steht oft das Militärische, das den Verlauf der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts entscheidend geprägt hat, im Mittelpunkt. Indem Götze die historischen Umstände mit einer heutigen Bildsprache in Szene setzt, bringt er diese dem Betrachter näher.

Viele dieser Kunstwerke sind aus Emaille gefertigt, wie beispielsweise auch Götzes „Victoria“ von 2006/7, ein großformatiges Panorama der Moderne aus mehr als 700 bildtragenden Einzeltafeln, in dem die Siegesgöttin keinen Lorbeerkranz, sondern den Euro in die Höhe hält. Als Götze 1996 den befreundeten Künstler Johannes Grützke in einem Emaillierwerk in der mittelsächsischen Stadt Penig abholte, war er auf der Stelle von der Materialität fasziniert und organisierte sich sogleich einen Workshop in der Fabrik, um die neue Technik zu erlernen. Seither ist die Emaille-Malerei ein wichtiger Teil von Götzes künstlerischem Schaffen. Der flächige Farbauftrag und die intensive Farbigkeit zeigen den starken Einfluss der Comic-Ästhetik auf den Künstler, wie beispielsweise des „rasenden Reporters Digedags“ des Mosaik-Magazins, das zwischen 1955 und 1975 in der DDR erschien. In diesem Zusammenspiel, kombiniert mit ironischen Brechungen der wilhelminischen Repräsentationsästhetik, entwickelt Götze eine Souveränität und zugleich eine spielerische Leichtigkeit im Umgang mit historischen Themen.

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